Rechtsanwaltskanzlei München
089 21 88 92 8-0 E-Mail Anfahrt

23.09.2022

Zur Haftung des Geschäftsführers bei unterlassener Einrichtung eines Compliance Managementsystems (Grundsätze der Legalitätspflicht)

Mit Entscheidung vom 30.03.2022 hat das OLG Nürnberg (12 U 1520/19) den Pflichtenumfang eines Geschäftsführers im Rahmen der internen Unternehmensorganisation (konkret: der Schaffung von Compliance-Strukturen zur Überwachung von Mitarbeitern) konturiert. Unterlässt der Geschäftsführer die geforderte Überwachung und ermöglicht oder erleichtert er hierdurch Straftaten oder anderes Fehlverhalten von Mitarbeitern, haftet er für die dem Unternehmen entstandenen Schäden. Dabei gelten die Haftungsgrundsätze gemäß § 43 Abs. 2 GmbH auch für den Geschäftsführer einer GmbH, deren wesentliche Aufgabe die Führung der Geschäfte einer Kommanditgesellschaft ist.

Das OLG Nürnberg nahm die eher knapp gehaltenen Entscheidungsgründe der Vorinstanz zum Anlass für ausführliche und grundlegende Feststellungen zu den organisatorischen Vorkehrungen, die ein Geschäftsleiter bei der Begehung von Rechtsverstößen durch die Gesellschaft oder deren Mitarbeiter zu beachten hat. Aus der Legalitätspflicht folge die Verpflichtung des Geschäftsführers zur Errichtung eines Compliance-Managementsystems. Dabei sei der Geschäftsführer nicht nur verpflichtet, den Geschäftsgang so zu überwachen oder überwachen zu lassen, dass er unter normalen Umständen mit einer ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann; vielmehr müsse er weitergehend sofort eingreifen, wenn sich Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten zeigen. Eine Pflichtverletzung könne bereits dann bejaht werden, wenn durch unzureichende Organisation, Anleitung bzw. Kontrolle Mitarbeiter der Gesellschaft Straftaten oder sonstige Fehlhandlungen begehen können oder dies ihnen zumindest erleichtert werde. Verdachtsmomenten müsse der Geschäftsführer unverzüglich nachgehen, ferner geeignete organisatorische Vorkehrungen treffen, damit Pflichtverletzungen von Unternehmensangehörigen vermieden werden.

Zur Überwachungspflicht gehöre eine hinreichende Kontrolle, die nicht erst dann einsetzen dürfe, wenn Missstände entdeckt würden. Ihre Intensität dürfe sich je nach Gefahrgeneigtheit der Arbeit und Gewicht der zu beachtenden Vorschriften nicht (nur) in gelegentlichen Überprüfungen erschöpfen. Über die allgemeine Kontrolle hinaus müsse der Geschäftsführer die Aufsicht so führen, dass Unregelmäßigkeiten auch ohne ständige unmittelbare Überwachung grundsätzlich unterblieben. Erforderlich seien stichprobenartige, überraschende Prüfungen, sofern sie den Unternehmensangehörigen vor Augen hielten, dass Verstöße entdeckt und geahndet werden können. Reichten stichprobenartige Kontrollen nicht aus, um die genannte Wirkung zu erzielen, so bedürfe es anderer geeigneter Aufsichtsmaßnahmen, die lediglich durch ihre objektive Zumutbarkeit beschränkt seien. Weitere Zumutbarkeitsschranken ergäben sich aus der Eigenverantwortlichkeit der Unternehmensangehörigen und dem bei Arbeitsteilung geltenden Vertrauensgrundsatz. Allerdings werde den Geschäftsführern nicht abverlangt, ein nahezu flächendeckendes Kontrollnetz aufzubauen.

Delegiere der Geschäftsführer seine Überwachungsaufgaben, reduziere sich dessen effektive Überwachungspflicht auf die ihm unmittelbar unterstellten Mitarbeiter und deren Führungs- und Überwachungsverhalten. Auch bei einer mehrstufigen Verteilung der Aufsichtspflichten verbleibe die sogenannte Oberaufsicht unentrinnbar bei dem Geschäftsführer. Zu diesen unübertragbaren Kernpflichten gehöre insbesondere die Organisations- und Systemverantwortung für die unternehmensinternen Delegationsprozesse.

Die in der immer noch viel zitierten „Siemens-Neubürger“-Entscheidung des LG München vom 10.12.2013 (5 HKO 1387/10) herausgearbeitete Legalitätspflicht erhält durch die Entscheidung des OLG Nürnberg eine weitere dogmatische Konturierung.

 

JARONI PRACHT RIEGL
Rechtsanwälte Partnerschaft

 Steinsdorfstraße 13
 80538 München

 (0 89) 21 88 92 8-0
 (0 89) 21 88 92 8-29

 info@jprslaw.de
 www.jprslaw.de