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26.09.2022

Haftung des Aufsichtsrats wegen unterlassener Inanspruchnahme von Vorstandsmitgliedern (Arcandor AG)

Mit Urteil vom 06.04.2022 (8 U 73/12) hat das OLG Hamm Schadenersatzansprüche des Insolvenzverwalters einer AG gegen deren ehemalige Aufsichtsratsmitglieder bejaht, weil diese es unterlassen haben, vor Verjährungseintritt Schadenersatzansprüche gegen frühere Vorstände geltend zu machen. In Streit standen vermeintliche Pflichtverletzungen ehemaliger Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder im Zusammenhang mit der Veräußerung und der Anmietung von fünf Warenhaus-Immobilien, die die später insolvent gewordene AG zunächst unter Wert an verschiedene Fondsgesellschaften verkauft, anschließend von diesen zu überhöhten Preisen wieder zurück gemietet hatte.

Der Senat gestand dabei den Vorständen zu, dass diese grundsätzlich das unternehmerisch nachvollziehbare Ziel verfolgen durften, angesichts der mit den Verträgen kurzfristig verbundenen Vorteile (Finanzierungsfunktion) die Verträge zu schließen, auch wenn die Konditionen isoliert betrachtet nachteilig waren. Allerdings hätten sie den „Spielraum der wirtschaftlichen Abweichungen bezüglich der Einzelobjekte und in der Gesamtbetrachtung überschritten, der ihnen im Rahmen der Business Judgment Rule zustand“. Der, der AG daraus resultierende Schadenersatzanspruch wäre seinerzeit auch realisierbar gewesen, zumal die ehemaligen Vorstandsmitglieder nicht nur über erhebliches Privatvermögen verfügten, zudem zu ihren Gunsten eine D&O-Versicherung existierte. Gleichwohl sah der Aufsichtsrat in Kenntnis der drohenden Verjährung nach Erörterung und Beschlussfassung von der Geltendmachung von Ansprüchen gegen die ehemaligen Vorstandsmitglieder ab, was seinerseits wiederum pflichtwidrig war.

Zum Pflichtenkreis der Aufsichtsratsmitglieder gehört die Überwachung der Vorstandsmitglieder. Diese Pflicht hätten sie im Hinblick auf die streitigen Verträge verletzt. Daher seien die Aufsichtsratsmitglieder zum Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verpflichtet.

Die Aufsichtsratsmitglieder hatten u. a. eingewandt, dass Zweifel an der Realisierbarkeit möglicher Forderungen der Gesellschaft bestanden hätten. Zudem hätte der mögliche Vorteil aus der Geltendmachung der Forderungen in keinem Verhältnis zu den gravierenden wirtschaftlichen Risiken gestanden, die aus einer öffentlich bekannt werdenden Inanspruchnahme früherer Organmitglieder resultiert hätten. Es habe die Gefahr eines Vertrauensverlustes sowohl von Kunden als auch des Kapitalmarkts bestanden. Das hielt das OLG Hamm für nicht überzeugend.

Der Fall beinhaltete auch für den für die AG klagenden Insolvenzverwalter Probleme: Dieser hatte darzulegen und zu beweisen, dass durch die unterlassene Inanspruchnahme der Vorstände seitens der Aufsichtsratsmitglieder kausal ein Schaden entstanden war. Ein solcher Schaden war in dem unterbliebenen Zufluss der Schadenersatzzahlungen zu sehen, die bei erfolgreicher Inanspruchnahme der Vorstände hätten geleistet werden müssen. Die damit einhergehende Darlegungslast beinhaltete u. a. den Nachweis, dass die nicht in Anspruch genommenen Vorstandsmitglieder ihrerseits pflichtwidrig gehandelt hatten.

Wären die Vorstandsmitglieder direkt in Anspruch genommen worden, hätten sie die Beweislast dafür gehabt, dass sie bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewendet haben (§ 93 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 AktG). Die Beweislast für das pflichtwidrige Handeln der Vorstandsmitglieder lag hier dagegen beim Insolvenzverwalter, da die Pflichtverletzung im Rahmen der Schadenbeurteilung in Bezug auf die sekundäre Haftung der Aufsichtsratsmitglieder zu prüfen war. Nachdem dem Insolvenzverwalter dieser Beweis gelungen war, oblag es wiederum den Aufsichtsratsmitgliedern, die fehlende Pflichtwidrigkeit bzw. mangelndes Verschulden zu beweisen. Die Aufsichtsratsmitglieder konnten das Gericht nicht überzeugen, dass ihr haftungsbegründendes Unterlassen unter Berücksichtigung gewichtiger Belange des Unternehmenswohls der AG gerechtfertigt war.

Das OLG Hamm begründet im Ergebnis lehrbuchmäßig, dass ein Aufsichtsrat mögliche Schadenersatzansprüche gegenüber seinen aktuellen und ehemaligen Vorständen sorgfältig unter tatsächlichen wie auch rechtlichen Gesichtspunkten ermitteln muss und hierbei das Interesse der Gesellschaft zu berücksichtigen hat. Sind Schadenersatzansprüche dem Grunde nach gegeben ist weiter zu prüfen, ob diese wirtschaftlich durchsetzbar sind. Das wird in der Regel wegen der bestehenden D&O-Versicherungen der Fall sein, sofern von diesen nicht wiederum erfolgreich der Einwand einer wissentlichen Pflichtverletzung erhoben werden kann. Wird gleichwohl von der Geltendmachung solcher Ansprüche abgesehen, trägt der Aufsichtsrat die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Interessen der Gesellschaft, die gegen die Durchsetzung der Ansprüche sprechen, ein zu den unterlassenen Schadenersatzansprüchen vergleichbares wirtschaftliches Gewicht gehabt hätten.

 

JARONI PRACHT RIEGL
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